Was mich prägt – Vorbilder in der Lebensführung

Lesedauer: ca. 8 Minuten

Warren Buffett, der berühmte Finanzinvestor, sagte mal „Tell me who your heroes are and I’ll tell you who you turn out to be.“ Und gewissermaßen traue ich ihm zu, dass er das kann. Es ist bei mir häufig so, dass ich den Worten von Menschen vertraue, die einfach durch ihre Person, d. h. durch vorbildliches Leben mir ein „gutes Gefühl“ da lassen und sei es auch bloß der Wille, ein reiferer und gütigerer Mensch zu werden. Und da ich seit 2020 nicht mehr reevaluiert habe, wer meine Vorbilder sind, bietet sich jetzt eine Gelegenheit (Liste ist ganz unten). Es geht hierbei um moralische Vorbilder, die eine gewisse Vorstellung davon haben, was es bedeutet Mensch zu sein. Ich meine damit nicht den Menschen im Sinne seiner Spezies, seiner kognitiven Funktionen oder seiner körperlichen Gesundheit. Es ist der Mensch, der nur für sich selbst das Wort „Würde“ erfunden hat. Die „Würde“ besteht in der täglichen Entscheidung darin, das eigene Leben zu führen und seine Bedeutung darin zu finden.

Aber selbst aus einer kognitiven Sicht sind biologische Organismen zielorientierte Wesen. Der banalste Trieb, der jedem Tiere und Menschen eigen ist, ist wohl der Selbsterhaltungstrieb. Der Körper hat raffinierte Funktionen eingebaut, um dies zu sichern: Wenn ich Hunger habe, meldet sich mein Bauch und gibt mir eine Art Signal, dass etwas zu besorgen ist. Wenn ich verletzt bin, dann spüre ich Schmerzen, die mich daran hindern, irgendwas zu tun außer mich auszuruhen und Gesungsschritte einzuleiten. In der vorindustriellen Zeit haben die Menschen noch viel mehr Zeit ausgegeben, um sich um diese Bedürfnisse zu sorgen. Tiere jagen, Felder und Äcker pflegen, eine schwach entwickelte Medizin, Haushaltswaren in Handarbeit und eine Wirtschaft, die in sehr kleinen Räumen zirkulierte. In der heutigen Wohlstandsgesellschaft hat sich das verändert, da viel weniger Menschen benötigt werden, um die Bedürfniswaren zu produzieren. Und es hat sich auch schon eine Art Selbstverständlichkeit hergestellt, die besagt: „Es kümmern sich andere darum, ich mache meine Sache“ und groß wird die Empörung, wenn festgestellt wird, dass in vielen wichtigen Wirtschaftszweigen der Grundversorgung (Energie, Bau, Handwerk, Einzelhandel, Verkehrswesen, Bildungswesen) ein Arbeitermangel besteht. Ich möchte aber auch folgendes betonen: Da wo der Selbsterhaltungstrieb durch andere gedeckt wird, stellt sich die Frage, wozu man selbst dann noch da ist. Die Zeit, in der der Körper die Antwort darauf gab, was man zu tun habe, ist vorbei. Doch was macht ein zielorientiertes Wesen ohne Ziele?

In dieser Hinsicht finde ich die Philosophie sehr lustig, da man ja zugeben muss, dass bis in das 20. Jahrhundert hinein, der Großteil der Philosophen, sehr privilegiert waren und gewisse Vorteile (z. B. Grundbesitz, finanzielle Freiheit, Erbe) hatten. Es ist also kein Wunder, dass die ersten Menschen, die viele interessante Fragen gestellt haben, auch heute noch eine Relevanz spielen, da es auch Menschen waren, die ihre eigene Art von Wohlstandsgesellschaft hatten, in der um alles gesorgt wurde. Doch immer haben die Menschen dann einen Sinn darin gefunden, mehr zu tun. Nicht bloß untätig zu sein, sondern sich für eine Sache oder Idee einzusetzen, die sie für wichtig und richtig erachten. Und dies scheint mir ein wesentlicher Teil der „Würde“ zu sein. Ich kann mir zumindest nicht wirklich vorstellen, dass ein Mensch der ziellos umherirrt, obwohl seine Grundbedürfnisse durch andere gedeckt werden, in irgendeiner Art würdevoll ist. Ich erlebe es selbst manchmal, wenn ich tagelang bekifft League of Legends oder andere Videospiele zocke, um irgendeine geistige Verwirrung zu verdrängen. Es kommt mir vor, als wache ich nach paar Tagen aus einem Traum auf und blicke zurück und frage, wie es dazukommen konnte, dass ein Videospiel mir zwei Tage aller Entscheidungs- und Führungsverantwortung raubt? Es ist hat doch nichts an Würde, zu einem bloßen Konsumenten seiner Welt degradiert zu werden und manchmal ist diese erschreckende Erkenntnis auch der Grund, warum man sich dann selbst dazu degradiert.

In meinem Leben bin ich immer wieder auf Menschen gestoßen, die mir ein bleibendes Gefühl hinterlassen haben, dass die Welt ja doch ein sehr anständiger Ort ist. In meinem Umfeld war dies der meiste Fall so, insbesondere in meiner Familie und in meiner Schullaufbahn. Doch durch die stetigere Vernetzung und Globalisierung wird einem immer mehr bewusst, wie viel Unanständigkeit in dieser Welt eine Rolle spielt, um erfolgreich zu sein. Es gibt sie auf jeden Fall, die Anständigen, die sich einer erfüllenden Sache widmen. Und ich würde auch behaupten, dass dies die Mehrheit ist. Doch leider sind diese häufig so in ihrer Sache verzahnt, dass es in dieser spezialisierten Welt dazu kommt, mit ihnen in Austausch zu kommen, wenn sie nicht gerade Teil der eigenen Nachbarschaft sind. Nachbarschaft heißt in diesem Fall nicht bloß die lokale Nähe auf der Straße, sondern mittlerweile auch die lokale Nähe im Internet, wo Profil neben Profil wie eine Reihenhausallee steht. Und so wie immer mehr die schönen Straßen des Landes mit Dreck besudelt werden, so tümmelt sich Abfall in irgendwelchen Kommentaren rum. Es ist diese Art der Unanständigkeit, die sich durch mangelnde Wertschätzung und Zügellosigkeit vermehrt.

Die Frage ist nun, woran orientieren wir uns, wenn unsere Grundbedürfnisse gedeckt sind? Familie, Freunde, Medien. Oder auch an uns selbst? Oder an Märchen? Was ist dasjenige, was uns tagtäglich die Willenskraft verleiht, aufzustehen? An mir selbst merke ich, dass es Tage gibt, an denen wache ich auf und bin voller Tatendrang. An anderen bleibe ich noch eine Weile liegen, bis ich dann doch auf Toilette muss oder mir ein Brot schmieren muss. Und es ist auch schon der Fall gewesen, dass ich aufstehe, mich kurz fertig mache und 5 Minuten später aus der Tür bin, weil mich meine Arbeit ruft. Und ich habe in den letzten Monaten auch mal die Tage erlebt, an denen ich keine Verpflichtungen hatte, zwar Pläne, aber die mir in dem Moment sinnlos oder verschiebbar erschienen und nicht die Willenskraft hatte, meinen Körper aufzurichten. Ich bin zwar ein Lauch, aber mir war ganz klar bewusst, dass es kein Zeichen von körperlicher Schwäche war. Die Schwerkraft (und die ist ja nicht so doll) traf auf einen zu schwachen Willen, der ja doch meinen Körper lenkt. Auch wenn man einfach so aufsteht, es ist letztlich immer eine Entscheidung aufzustehen (und dann tue ich dies doch nach 4 Stunden intensiver Handynutzung, zum Glück ist das eher max. einmal monatlich der Fall).

Es gibt viele Gründe, warum man aufstehen sollte. Doch es scheint mir, dass der nobelste Grund ist, dass man sich darauf freut, ein würdevolles Leben zu führen. Man freut sich so doll, dass man wie von selbst gewillt ist, seinen Tag zu gestalten, mit anständigen Menschen Zeit zu verbringen und sich einer Sache zu widmen, die einem so wichtig scheint, dass die Schwerkraft beim Aufstehen einem Sandkorn am Strand gleicht. Und dies ist auch eine Fähigkeit, die wir jungen Menschen lernen müssen. Dass wir trotz aller Widrigkeiten uns unserer Sache bewusst sind, wenn wir denn eine haben. Die Generationen vor uns haben auch diese Art der Lebensführung gelernt von den Generationen vor ihnen. So schließe ich mit einem Zitat von Albert Einstein: „Es gibt keine andere vernünftige Erziehung, als Vorbild sein, wenn’s nicht anders geht, ein abschreckendes.“


[Einschub: Schlechtes Vorbild von Sido]

Der Song ist nen Banger, da kann keiner was sagen. Ich habe da vor allem zwei Textpassagen, die ich hervorheben möchte, weil ich sie sehr relatable finde:

Mein Körper ist eine Ruine, denn ich nehm‘ viele Drogen
Immer wenn ich high bin, mutiere ich zum Philosophen (Hm)
Die Welt ist klein, denn ich betrachte sie von oben
Ich bin unerzogen, abgehoben, haut ab, ihr Idioten (Chyeah)
Ich trinke wie ein Loch (Eh), doch das ist meine Sache
Warum ist das ein Problem? Weil ich’s nicht heimlich mache? (Heh?)

[01:10] und [02:20]

Wenn euer Kind versucht, wie ich zu sein, dann lasst es machen
Man lernt nicht, dass Feuer heiß ist, ohne es mal anzufassen
Woher wollt ihr wissen, was gut ist, wenn nichts schlecht ist, heh?
Wenn nichts schön ist, bin ich auch nicht hässlich (Eh-eh)


In der heutigen pluralistischen Zeit gibt es ganz verschiedene Bereiche, in denen man wirken kann. Die Zeit der Religion ist schon länger vorbei und spätestens seit den Millenials (ab 1981) hat es Deutschland zu einem recht komfortablen Land gebracht. Und es war ein großes Glück, dass bis zum Ende meiner Zeit in Erfurt immer vertraute Menschen aus den Generationen begegnet waren, die eine große Wertschätzung für die Entwicklungen bis zur heutigen Zeit entgegenbrachten. Trotz aller Untaten. Trotz aller Unanständigkeit. In diesen Menschen sind immer gewisse Seiten von Vorbildern erschienen, die mich nicht mehr verlassen haben und mein inneres Moralverständnis festigten. So heißt dies wohl „Du bekommst mich aus Erfurt, aber Erfurt nicht aus mir.“

Doch außendrum gab es auch Menschen, die Ideen und Bilder verkörpert haben außerhalb von Erfurt, die mich auf eine oder andere Weise inspirierten. Und manchmal erkannte ich dann, dass diese vielleicht doch nicht die besten Vorbilder sind (z. B. Jean-Michel Basquiat) und man sie in gewissen Punkten doch auch als Abschreckung sehen sollte. Ich habe hier eine (vermutlich nicht erschöpfende) Liste von Menschen, von denen ich denke, dass ich ein wenig mehr wie sie sein möchte (und da das sehr viele sind, ist das doch ein sehr individueller Mix):

  • meine Eltern
  • Äsop (Fabelerzähler, 6. Jhd. v. Chr.)
  • Søren Kierkegaard (Gründervater der Existenzphilosophie, 1813-1844)
  • Edmund Husserl (Gründervater der Phänomenologie, 1859-1938)
  • Max Scheler (deutscher Phänomenologe, 1874-1928)
  • Albert Einstein (theoretischer Physiker, 1879-1955)
  • Edward Hopper (Künstler, 1882-1967)
  • Vladimir Mayakovsky (Revolutionsdichter, 1893-1930)
  • Antoine de Saint-Exupéry (Schriftsteller, 1900-1944)
  • Erich Fromm (Psychoanalytiker, 1900-1980)
  • Günther Anders (Technikphilosoph, 1902-1992)
  • Viktor E. Frankl (Gründervater der Logotherapie, 1905-1997)
  • Paul Feyerabend (Wissenschaftsphilosoph, 1924-1994)
  • Oscar Peterson (Jazzpianist, 1925-2007)
  • Richard Rorty (Gründervater des Neopragmatismus, 1931-2007)
  • Don Ihde (Technikphilosoph, 1934-2024)
  • John Lennon (Musiker, 1940-1980)
  • Hayao Miyazaki (Gründer des Ghibli-Animationsstudios, 1941-heute)
  • Bobby Fischer (Schachweltmeister, 1943-2008)
  • Oskar Lafontaine (deutscher Politiker, 1943-heute)
  • Keith Haring (Künstler, 1958-1990)
  • Rodney Mullen („Erfinder“ des modernen Skateboardens, 1966-heute)
  • Alain de Botton (Populärphilosoph und Unternehmer, 1969-heute)
  • Andreas Bausewein (ehem. Oberbürgermeister von Erfurt von 2006-2024, 1973-heute)
  • Evangelos Polichronidis („Lakmann“ Rapper, 1978-heute)
  • Kristine Flaherty („K.Flay“ Musikerin, 1985-heute)
  • Google/Larry Page (1998-heute)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert