Wer mich näher kennt, erahnt, dass ich ein schweres Gemüt habe. Das war nicht immer so. Ich erinnere mich an ein Zitat von einem alten Vorgesetzten von mir: „Die Welt ist ein Spiegel deiner selbst.“ Mittlerweile bin ich aber von diesem selbstbezogenen Punkt weg. Aus der eigenen Sicht erscheint die Welt natürlich immer als eine Erzählung, die man sich selbst erzählt. Aber da ich mir über die Mechanismen des Gehirns zumindest grob bewusst bin und auch die Philosophie vor dem 20. Jahrhundert verworfen habe, glaube ich eher, dass man selbst ein Spiegel der Welt ist. Aber Welt und Selbst lässt sich ohnehin schlecht trennen. Beides entspringt ja letztlich irgendwo in einer hinteren Kammer des Kopfes, damit man irgendwie irgendwas benennen kann, ohne die anderen komplett zu verwirren.
Und die Welt oder das was mir präsentiert wird, scheint immer komplexer, verworrener und unkontrollierbarer zu sein. Erst in einer kürzlichen Studie wurde darüber berichtet, dass die heutige Jugend die einsamste Generation sei. Die Gründe sind vielfältig, insbesondere die fatalen psychologischen Folgen von Corona wurden weit für die Jugend unterschätzt. Es ist auch nicht besonders aufbauend, wenn eine gesamte Generation zwei Jahre in ihren eigenen Käfigen haust. Man beschäftigt sich zu Hause ohne soziale Kontakte und für viele wurde das zunächst als eine Entgiftung von FOMO (fear of missing out) beschönigt. Doch auch diese Beschönigung ist bloß ein Opium der Machtlosigkeit der Massen.
Wie viele andere Jugendliche auch, verbrachte ich einen Großteil meiner Zeit online. Im Internet. Oder mit Büchern. Kiffen, zocken. Es klingt alles nicht besonders romantisch, vor allem, wenn man noch voller Sturm und Drang ist und die Realität mit einer allgemeinen Depression reagiert. Und wie viele andere verliert man dann den Blick für die Realität vor der Tür und im eigenen Umfeld.
Man verliert nicht nur die Realität, sondern das Internet hat große Auswirkungen auf unsere Sprache, unsere Erfahrungen und unser haptisches Gefühl (sprich Berührungen). Dies führte nun dazu, dass sich die heutige Generation zunehmend voneinander entfremdet. Die kürzliche Europawahl hat dies nochmal besonders gezeigt: Von den 16-24 Jährigen wählten 17% die CDU, 16% die AfD, 11% die Grünen und ansonsten gibt es keine Partei, die über 10% erreicht hatte. Von Massenbewegungen wie in den 70ern kann nicht mehr die Rede sein, stattdessen ist die Welt in einem Zustand von Partikularität zerfallen, in denen sich nur wenige Menschen begegnen, eine gemeinsame Sprache finden und ähnliche Erfahrungen machen. Die Vielfältigkeit und der zunehmende Individualismus sprechen eher dafür, dass sich die Einzelnen weiter vereinzeln.
Ob man diesen Prognosen zustimmen möchte, hängt sicherlich davon ab, inwieweit man überhaupt meinen Worten folgen kann. Inwieweit sich unsere Sprachnutzung überschneidet. Und ich befürchte, dass das bei mir ein Ding der Unmöglichkeit ist.
Ich war schon immer ein Einzelgänger. Ich habe mich für ein Philosophiestudium entschieden, weil ich mich mehr für Ideen statt Menschen interessiere. Ich glaube, das ist schon ein Grund, warum ich manchmal das Gefühl habe, als Mensch gescheitert zu sein. Doch zumindest hat mir das viele Vorurteile erspart: Ich bin unter einer linken Regierung aufgewachsen, dann war ich 2,5 Jahre in der SPD, bei FridaysForFuture, in verschiedenen Jugendpolitikprojekten, ich habe mich auch intensiv mit der Incel- und der MGTOW-Bewegung beschäftigt, mit Feminismus, alter Literatur, neuer Literatur, Musik, Kunst(-geschichte), Popkultur, ich habe mehrere AfD-Anhänger in meinem Umfeld kennengelernt, ich habe in 6 verschiedenen Niedriglohnjobs gearbeitet, ich war lange im Journalismus aktiv, ich habe angefangen in den Kapitalmarkt zu investieren, ich bin in der Drogenszene und kenne die Schwarzarbeit, ich höre Klassik, Jazz und K-Pop, und habe alle möglichen Dinge (wenn auch nicht mit dem nötigen Durchhaltevermögen) online probiert. Und ich habe auch eine Menge Frauen kennengelernt (ich möchte das einfach mal explizit erwähnen, weil ich schon denke, dass mir einige Hintergründe von der Hälfte der Weltbevölkerung immer noch versperrt bleiben). Und allein aus dem Grund, dass das jetzt schon so viel ist, weiß ich, dass es noch viel mehr dort draußen gibt und dementsprechend auch viele unsichtbare Menschen, die in ihrer Partikularität leben. Und was ist mein Fazit? Entfremdung in jedem Umfeld in dem ich bin, da eine kleine Stimme in meinem Kopf mir immer erzählen möchte: „Das ist doch bloß wieder einer von diesen partikularen Feldern“. Ich fühle mich irgendwie schon zu Hause auf dieser Welt, allerdings beschreibe ich meine Welt mit ganz anderen Mitteln und Worten als es die meisten tun. Anders kann ich mir dieses eigenartige Gefühl nicht erklären, dass ich fast immer unzufrieden aus Diskussionen herausgehe.
Meine Mutter meint immer zu mir, dass ich mir um diese Dinge nicht so sehr den Kopf zerbrechen solle. Allerdings deute ich das auch bloß so, dass meine Mutter ein Spiegel ihrer Welt ist. Sie ist im Vietnam-Krieg aufgewachsen, ist dann nach Deutschland gekommen und hat drei höchst unterschiedliche Kinder großgezogen. Sie arbeitet seit 25 Jahren in ihrem Imbiss und auch vom Internet hält sie sich weitestgehend fern. Es scheint mir, als ob ich meine Sprache zu meiner Mutter verloren habe, seitdem ich ausgezogen bin und auch wenn ich sie sehr gut nachvollziehen kann, all das nicht so zu überdenken, schaffe ich es nicht, diese Leichtigkeit aufzubringen, das Erlebte zu ignorieren oder zumindest einfach hinzunehmen als ob nichts wäre. Thug life, huh? Wenn man die Schwere nicht sieht, dann lebt es sich leicht. Vielleicht hat mir Rilke diese Leichtigkeit versaut, als er mich in meiner Phase voller Ideale so etwas lesen ließ wie „Was von uns verlangt wird, ist, dass wir das Schwere lieben und mit dem Schweren umgehen lernen“.
Ich habe mich immer vor Leichtigkeit gescheut. Daran ist sicherlich auch meine letzte Beziehung zerbrochen. Ich hab sie mehrmals zum Weinen gebracht, einfach nur, weil ich angefangen habe, über meine Gedanken zu erzählen. Weil ich in meiner Sprache geredet habe. Ich konnte auch in ihrer Sprache eine lange Zeit sprechen. Aber naja.
Die meisten Tipps für mehr Leichtigkeit handeln darüber sich auf das Positive zu fokussieren und dankbar zu sein. Ich glaube, die Frage, was positiv ist und was negativ ist aber auch nicht ganz trivial. Es tut mir seelisch ganz gut, mich der Schwere hinzugeben. Es gibt mir ein gutes Gefühl, wenn ich weiß, dass an vielen Stellen nur ein kapitalistisches Spiel gespielt wird und auch wenn wir uns alle in diesem Rat Race befinden, das alles nicht echt ist. Nicht „echt“ im Sinne von Leben? Ich weiß es nicht genau, aber ein Gefühl gibt mir eine innere Bestätigung, dass die Welt uns darauf trimmt zu einer vollständigen Ware zu werden, wenn wir wirklich erfolgreich sein wollen. So ist es mit allen großen Idolen, früher oder später werden diese Ideen auch bloß Waren.
Ich schätze für einen Sonderling wie mich liegt die Leichtigkeit im Hoffen. Hoffen kann ich ziemlich gut. Doch diese Woche war schwer. Darum schreibe ich. Schreiben ist Problem und Lösung zugleich: Wenn wir in der Einsamkeit der postmodernen Welt niemanden mehr finden, der die eigene Sprache spricht, dann schreibe ich sie nieder um mit mir selbst ins Gespräch zu kommen. Vielleicht ist das die Leichtigkeit, die mir noch bleibt: das beflügelte Wort.
Vielen Dank für das Teilen! Ich glaube auch, dass Leichtigkeit nicht bedeuten muss, das Schwere zu ignorieren. Manchmal kann es bedeuten, das Schwere zu akzeptieren und trotzdem Momente des Friedens und der Freude zu finden. Schreiben ist ein wunderbares Ventil und ein kraftvolles Werkzeug, um mit sich selbst ins Reine zu kommen (aber vllt auch in der Schwere zu schwelgen). Falls du es nicht schon gelesen hast, kann ich das Buch „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ empfehlen (one of my favs). In dem Buch werden verschiedene Charaktere mit der Schwere und der Leichtigkeit konfrontiert 🙂 Ich hoffe, es freut dich, dass deine Worte Resonanz finden.