Kommentar zum Funzel-Artikel „Wider dem Adultismus, Jugend ist Tugend!“

Lesedauer: ca. 2 Minuten

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Hallo Christopher-David,

ich fand den Beitrag anfangs ganz catchy und assoziativ, aber zum Ende hin hatte ich das Gefühl gehabt, dass voll am Punkt vorbeigegangen wurde. Das erste Mal wurde ich stutzig, als angefangen wurde, das Jungsein negativ anhand von Menschen, die „im Leben stehen“ (aka Kinder, fester Job, etc.) zu bestimmen, was einfach nur die Übernahme von entfremdeten Idealen der bürgerlichen Gesellschaft entspricht.

Jungsein kann positiv und emanzipiert (statt durch das Andere / fremdbestimmt) ausgelegt werden (z. B. anhand von Eigenschaften wie Veränderungsbereitschaft, Lernwillen, etc.). Mir scheint, es wurden dann nur Kategorien aufgeworfen, um eine kollektive Masse zu identifizieren, die es nicht gibt. Es ist eigenartig, seine Identität daran zu bestimmen, dass man nicht Teil eines exklusiven, bornierten Kreises ist. Auch das Jungsein als Feststellung einer unterdrückten Gruppe schlägt fehl. Insbesondere da der Begriff negativ bestimmt wird, müsste man dann sagen, dass alle Unterdrückten diejenigen sind, die sich nicht für einen bestimmten Lebensweg des „Erwachsenen“ entscheiden. I doubt it!

Der letzte Abschnitt war vor allem in Bezug auf die Quellen enttäuschend. Die Studie klingt für mich ideologisch so, als ob es eine generische Masse von „den Jugendlichen“ in Deutschland gibt. Was dabei meistens drunter wegfällt ist die Methodik und kritische Interpretation der Datenergebnisse, die in der Vodafone-Studie natürlich ausgelassen wurde (was bei den meisten Studien passiert, die sich bloß darauf ausruhen, dass es reicht „repräsentativ“ hinzuschreiben). Es gibt faktisch deutlich divergierende Mentalitäten, die sich an den Linien Ost-West, Stadt-Land oder auch akademisch-nichtakademisch entlangzieht. Natürlich sind die meisten Jugendlichen, die in den akademischen Städten der immer schneller werdenden Gesellschaft groß geworden sind, politisch und bilden den Großteil der Studienteilnehmer ab. Doch das verdeckt eben, dass der Großteil der Landstriche, der eben nicht städtisch, gebildet und westlich ist, ein ganz anderes subjektives Empfinden zur Politik hat (mir schon fast unangenehm so ein Beispiel wie die LINKE/AfD-Verteilung in Ostdeutschland anzuführen). Die Überwindung dieses bestehenden Gefälles erfolgt nicht durch dessen Ignoranz. Das Gefälle wird auch nicht aufgelöst, wenn die vermeinten Betroffenen sich zusammenschließen und sich solidarisch (was auch immer dieser ausgehöhlte Begriff bedeutet) zeigen, als ob man einfach alle historisch gewachsenen Ressentiments über Bord werfen könnte. Psychologisch einfach nicht haltbar.

Auch gegeben, dass moralische Absolutheit nicht existiert, wird es in einer pluralistischen Gesellschaft keine Massenbewegung geben (zumindest wenn man auf Propaganda verzichtet). Das was passiert, wenn man gegen Adultismus plädiert, ist nicht, dass man für eine unterdrückte Gruppe streitet, zu der man sich zugehörig fühlt. Man streitet für seine eigenen Interessen, man streitet für sein humanistisches Bildungsideal, man streitet für seinen Glauben an vermeintlicher Selbstbestimmtheit des Einzelnen. Doch für diesen Glauben müssen die meisten Menschen erstmal überzeugt werden (und ich befürchte, dass ich den Glauben an kollektive Ideale, die sich nicht nach kurzer Zeit entfremden, schon verloren habe).

Ich beginn gespannt, ob und wie du dieser Kritik begegnest. Der Artikel hat mich mal zum Nachdenken angeregt, mein Politikverständnis, was sich in den letzten Monaten etwas verändert hat zu reflektieren und zu artikulieren. Dafür vielen Dank!

Liebe Grüße Dat


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