Religiösen Menschen ist gemein, dass sie an Ordnung statt Chaos glauben. Wenn man nicht den Eindruck haben möchte, dass alles ein zufälliges, unwillkürliches Zusammentreffen von Elementarteilchen ist, dann muss man sich dafür eine gute Begründung ausdenken. Es scheint, dass in all dem Chaos in der ganzen Welt es immer wieder kleine Felder gibt, die eine gewisse Ordnung haben. Das einfachste Beispiel ist ein Stein. Egal, was in der Welt herum passiert, welches Chaos in der Welt umhertreibt. Es stört den Stein nicht (sagen wir mal, es ist ein Stein in der Brandung, ja?). Der Stein hat Struktur, die irgendwie fest und in sich gehalten ist. Und so wie er im Kleinen seine Ordnung hat, so haben die anderen Wesenheiten dieser Erde ihre wesentliche Ordnung (deswegen diese Wortwahl, okay?).
Tiere und Menschen sind hingegen etwas anders als ein Stein, da sie Informationssysteme sind, die etwas mehr Anstrengung benötigen, eine innere Ordnung herzustellen. Das liegt an ihrer Struktur, in der Verhalten von Sinneseindrücken abhängig ist, sowohl in der äußeren Wahrnehmung (z. B. „ich sehe Brot“) als auch in der inneren Wahrnehmung (z. B. „mein Magen knurrt“). Und diese Informationssysteme sind in durch den dauerhaften Austausch mit ihrer Umwelt in ständiger Veränderung.Wenn die Umwelt nun sehr chaotisch ist, dann benötigt es etwas mehr Filterung. Wir erfahren das heute besonders: Eine ungefilterte Welt, die nur daraus besteht in einem Dorf geboren zu werden, dort zu leben und zu sterben und in dieser Zeit eben auch nur mit dem Dorfstamm verkehrt zu haben – so eine Welt ist unerfahrbar geworden. Aber in so einer hypothetischen Welt gibt es wohlmöglich keinen Grund zum Filtern, was gut oder schlecht, richtig oder falsch ist. Dort ist der Stamm und tauscht nur miteinander Informationen aus, die hoffentlich in ehrlicher Manier dem Stamm des Dorfes gut tun. Doch heutzutage ist der Austausch von Informationen in so einem großen Maße globalisiert worden, dass es sehr schwer geworden ist, überhaupt irgendwelche Kategorien von Gut und Böse, Richtig und Falsch aufzustellen. Der Erfahrungshorizont des Einzelnen beschränkt sich nicht mehr auf die Eltern und Nachbarn, sondern zerstreut sich digital oder per Flugreise in der ganzen Welt. Es ist nun leider nicht der Fall, dass wir wie im Stamm mit den anderen Individuen unserer Spezies (also der Menschheit) interagieren, sondern selektiv filtern, wer oder was uns gut tut und dementsprechend unser Verhalten ändern. Und das Gefährliche ist ja, das wir häufig in unseren Urteilen vergessen, dass diese Urteile darauf basieren, dass wir glauben, dass dieses oder jenes für uns gut tut. Entschuldige, diese schwammige Vorrede, ich bin noch etwas zerstreut.
Das Wichtige war hier man verhält sich entsprechend seiner persönlichen Vorstellungen von Richtig und Falsch (das betrifft die rationalen Entscheidungen, z. B. bei der Frage „Ist es mir wert X€ für Y auszugeben?“) oder Gut und Böse (das betrifft die ethischen Entscheidungen, z. B. „Sollte ich Y klauen?“).
Und jetzt sage ich nochmal zu meinem Ich aus der Zukunft hallo (der Text ist nämlich für mich selbst und die schwammige Vorrede ist eine Abschreckung für die Leute, die ungern alles lesen). Es kommt mir schon fast vor, als müsse ich Rechenschaft ablegen. Andererseits könnte ich mir auch denken, dass ich sobald ich in Erfurt zurück bin alles von mir abfällt. Muss irgendwas meiner letzten fünf Jahre eine Bedeutung haben? Als ich Erfurt verließ, gab ich meine alte innere Ordnung auf, weil sie mir nicht gefiel. Ich weiß gar nicht mehr genau, warum. Vielleicht war es einfach nur Abenteuerlust. Man könnte alles Mögliche hineininterpretieren oder neu erzählen, aber letztlich solltest du ja verstanden haben, das Glück nicht davon abhängig ist, was man denkt, sondern dass man ist.
Aber irgendwann werde ich ja über 30 Jahre alt sein und meine grauen Zellen kann man hiermit sicherlich auf die Sprünge helfen. Erinnere dich an die Bilder im Kopf, assoziiere frei und sei dir gewiss, dass du ein abenteuerliches Leben hattest (wobei jeder ein abenteuerliches Leben hat, man muss nur den Mut haben, es in einen Epos zu verpacken). Du hast dein Leben vielleicht ein wenig vergeudet, weil du geträumt hast. Du hast davon geträumt viele Geschichten erzählen zu können, du wolltest nie dieser langweilige Mensch sein, der spießbürgerlich alles gut macht. Du warst das auch nie, hast es dir immer eingeredet, aber es gab doch immer eine gute Geschichte, die du erzählen konntest. Also vergiss deine Geschichten nicht. Deine Eltern und dein Umfeld haben es dir vielleicht ein wenig eingebrockt. In der Grundschule verbrachtest du mehr Zeit in der Bibliothek als auf dem Sportplatz. Dein Körper und Kopf haben sich dran gewöhnt, dass Geschichten lesen und erzählen ein inneres Glück auslöst. Ich hoffe du träumst nicht mehr so oft, dafür gezielter. Gut, also nochmal zur Abschiedsnotiz.
Du zogst nach Magdeburg mit Richard, rückblickend betrachtet dein langjährigster Freund in das Dachgeschoss einer Platte in der Neustadt. Weißt du noch, wie ihr dann am ersten Tag in die Nachdenker-Bar gegangen bist und Henny getroffen hast? Das Sketchbook, Klavier, sogar Andi war noch da. Und dann hat sich herausgestellt, ihr studiert zusammen. Später war dann die Ersti-Woche und du hattest bei einem Projekt Jugendlichen Graffiti beigebracht (daher der gelbe Spritzer auf dem Bad-Vibes Hoodie) und bist dann leicht erkältet zur Rally gekommen. Und dann hast du dich ja auch schon direkt verknallt in eine Kommilitonin. So ein Romantiker. Und hast ihr dann so Songs geschrieben und wolltest ihr alle möglichen Geschichten erzählen. Vielleicht wolltest du die Geschichten nur erzählen, damit du diese Geschichte in einer Geschichte verwenden kannst (vermutlich bin ich verrückt, wenn ich vor mir hinträume, werde ich manchmal zu einem inneren Regisseur, der schlechte Romcoms mit unfreiwilligen Schauspielern inszeniert). Nun ja.
Du hast schnell die städtische Szene kennengelernt, Skatespots, und dich direkt mit Bosse, dem Wessi, verkracht. Aber weil er einfach der beste Skate-Motivator und ein noch größerer Geschichtenerzähler ist als du, konnte man sich ja dann doch anfreunden. Das Erntefunkfest und dann fingst du auch beim Uni-Radio an und hattest deine allererste Audio über Hopfen&Styles für das Live-Konzert angefertigt. Erinnere dich an die Kunst-Treffen, die du organisiert hattest. Du hast von Erfurt gelernt und vielleicht war das ja eine der ersten Dinge, die dich darauf aufmerksam gemacht haben, warum dir Erfurt schon damals gefehlt hatte. Und dann gab es noch diese eine komische Party mit der Journalismusstudentin, mit der du bisschen rumgemacht hattest und ne halbe Stunde später in den Fahrstuhl gekotzt (du reudiger). Kein Wunder, dass dir am nächsten Tag dein Fahrrad geklaut wurde (aber nicht deine Ukulele! Der Herr hatte sicherlich seine Gründe). Und erfreu dich an der Zeit mit Richard, auch wenn es schwierig war. Ihr habt in League of Legends gut reingegrindet und gemeinsam gute Essen gehabt und Filme geschaut. Ihr seid beide zwei ganz schön große Trottel, aber wirklich lustig.
Es kam dann die Corona-Pandemie und du hast gut für die Uni gelernt. 72 CP in 2 Semestern, Chapeau! Du warst noch unverblümt, total eingehegt, es lief nichts schief. Die ersten Erfahrungen musstest du dann damit sammeln, dass du im April 2020 eine Bußgeldstrafe für Nichteinhaltung der 2-Personen-Regel erhalten hast (beim Petri). Irgendwann später das Jahr, gab es noch eine zweite Strafe (Tatort schauen). Zweimal musstest du bei saufen.io auf den Balkon kotzen. Es war alles bisschen komisch, online. Es tat dir sicherlich nicht gut. Ich kann mich jetzt schon kaum mehr an das Jahr 2020 erinnern. Aber wenigstens hattest du da deinen Blog angefangen, es gibt auch richtig coole Samples aus der Zeit. Und achja, im August 2020 hattest du den Bescheid für das Stipendium erhalten und in Ableton Live und Instrumente investiert. Weißt du noch, wie du damals angefangen hast Bratsche zu lernen und der arme Richard das mit anhören musste? Du hattest dann Bass gelernt und in einer Reggae-Band die Tasten mit Lukas gespielt. Und immer wieder an irgendwelchen Projekten teilgenommen, z. B. warst du ja im Sommer 2020 in den StuRa und FasRa der Universität gewählt worden. Erinnere dich auch mit einem kleinen Lächeln an die Menschen, die dir in der ehrenamtlichen Arbeit begegnet sind. Ver.di, Jusos, Hochschule, Living Room Gallery, ÖSHT. Du hattest überall deinen Beitrag geleistet und deine Zeit nicht vergeudet.
2021 war dein Jahr, welches eine innere Wende einleitete. Was war es, was dich antrieb? Du warst beim Uni-Radio, weil du Journalist werden wolltest. Irgendwas mit Philosophie. Irgendwas mit Schreiben. Nun ja. Dir wurde immer mehr bewusst, dass die Arbeit mit Medien und der Aufmerksamkeitsökonomie eine sehr anspruchsvolle und nervenaufreibende Tätigkeit ist. Du hast immer mal wieder an Medienveranstaltungen (z. B. Tincon/re:publica, Jugend-Medien-Tage) teilgenommen und erinnere dich an die hoffnungsvollen Medienschaffenden, die so wie du voller Träume stecken. Doch du hast ja versprochen, nicht mehr so viel zu träumen, daher ist es vielleicht auch ganz gut, dass du dich da rausgezogen hast. Aber eine andere Sache natürlich, du hattest deinen allerersten ONS. Und weil du so ein unerfahrener Bub warst, hast du es natürlich auch direkt verkackt, weil du schon wieder zu viel geträumt hattest. Erinnere dich an diese Geschichte, auch wenn sie im Nachhinein schmerzhaft ist, weil man sich ja eingestehen muss, dass man es verkackt hat (ich glaube, das schmerzhafte ist vor allem, dass man es so schnell verkackt hatte). Aber weißt du sonst noch viel von dem Sommer? Sechs Wochen lang nach dem großen Lockerungen hast du damit verbracht, dich in das Partyleben zu stürzen, dabei fünf bis sechs Tage in der Woche gefeiert und parallel halb nüchtern gelernt. Was wolltest du damit erreichen?
Es ist ja immer schon so gewesen, dass du dich an deinem Umfeld orientiert hast. Du hattest immer dieses Gefühl, wo du sein solltest und wo nicht. Ständig träumst du davon, von einem anderen Ort, einem Nicht-Ort, einer Utopie. Richard und du habt derweil die Wohnung aufgelöst, ihn verschlug es nach Erfurt zu einem, ich nenne es mal Karthasis-Jahr. Und auf einmal trafst du im November 2021 auf die schönste Frau der Welt und fandest sie eines morgens neben dir im Bett aufwachen. Es hatte was in dir verändert. Dir wurde klar, dass dein Traum, den du hattest, irgendwann auf eine solche Frau zu stoßen viel zu schnell Wirklichkeit geworden ist. (Aber dies war ja bloß ein oberflächliches Urteil). Und dann verschwand sie nach ein paar Monaten.
Von den Frauengeschichten wollen wir eigentlich gar nicht anfangen zu sprechen. Du hattest vorher nie richtig geliebt. Und wie du gelernt hast, lieben unterschiedliche Menschen auf unterschiedliche Art und Weise. Sich gegenseitig beschenken, Kommunikation, Aktivitäten. Da gibt es ja viele Facetten, wie man diese gestalten kann. Und du Träumer bist so ein Langweiler, der sich am liebsten über Bücher und große Projekte unterhält und einfach zu viel Spaß daran hast, hunderte Pläne im Kopf auszuarbeiten, wie man diesen oder jenen YouTube/TikTok-Channel gestaltet, wie man eine komplette Wohnung handwerklich selbst möbliert, oder wie man theoretisch Bundeskanzler werden könnte. Letztendlich ist dir aber auch bewusst geworden, dass träumen und Geschichten erzählen keine besonders großartige Begabung ist. Und die schönste Frau der Welt hat vielleicht guten Grund gehabt, adieu zu sagen.
Hast du es nicht ertragen? Dass dein Traum, wie unsinnig und naiv er auch war, zerstört wird? Dachtest du, dass der Traum irgendwie weiter geht? Dass du irgendwas in diesem Traum verändern könntest?
Vielleicht wollte dein Unbewusstes das auch so. Schließlich hast du es doch geliebt, deinen Drogenmissbrauch auf die Liebe zu schieben. Andere Menschen tun dies schließlich auch. Nein, vielleicht war das auch nicht so schlimm, in so einen Liebesschmerz zu verfallen. Rilke schrieb dazu, dass wir Kinder noch häufig Fehler in der Liebe begehen müssen, bevor wir zwischen Mensch zu Mensch lieben. Es ist, als spielte man in der Liebe zwei Spiele. Das erste Spiel ist das einfachere und häufigere: Das Liebesspiel zwischen Mann und Frau (und ich gehe mal von dem heteronormativen 90%-Teil der Bevölkerung aus), die der Herr in eine lokale Nähe gebracht hat. Es ist bestimmt von den psychologischen und sozialen Traditionen, Erkennung und Darstellung von Symboliken und einer guten Bettgeschichte. Es ist das Spiel, in dem gefragt wird, „Kann ich mich sicher bei dir fühlen?“ ohne die Frage zu explizieren. Das zweite Spiel ist jedoch das, woran die meisten immer wieder scheitern, im Liebesspiel zwischen Mensch und Mensch wird eine andere Frage bearbeitet: „Gebe ich einen Teil von mir für dich auf?“. Gib nicht zu viel von dir für schöne Frauen auf, vor allem nicht, wenn es zu mehr Alkohol und Weed führt.
Dein Leben nahm noch auf eine zweite Weise eine Wende, als du anfingst dich näher mit der moderneren Philosophie (Kritische Theorie, Neopragmatismus, Postphänomenologie) zu beschäftigen, die die Philosophie als Wissenschaft in Frage stellt. Ich würde aber sagen, auf produktive Weise, da ich mittlerweile der Ansicht bin, dass die philosophische Methode für die Akademie ist, aber Philosophie mehr eine Art Haltung ist als Wissenschaft. Diese Haltung verpflichtet, dass das Denken als Werkzeug aus einer Unvoreingenommenheit und einer möglichst neutralen Absicht genutzt wird. Doch du musstest in deinem Institutspraktikum feststellen: Die Wissenschaft ist nicht durch eine solche Haltung geprägt.
Es entstanden Verwerfungen in deinem inneren Weltbild. Parallel dazu verbrachtest du Nächte mit Liebesspielen der ersten Art und musstest lange mit deiner Verbitterung aufräumen und zumindest kannst du dir vorhalten, dass du FFF Magdeburg nach Tanjas Abreise etwas Leben eingehaucht hattest und was auch immer dich rumtrieb. Träume hattest du so viele, dass du dich nie für einen Traum entscheiden konntest, weil sie dich alle zum Grinsen brachten. Und plötzlich sind wir im März 2023, deine Stelle als Tutor (Computational Neuroscience) lief aus und auch das Studium machte dir keinen Spaß mehr. Es war ja eigentlich nicht mehr viel zu erledigen, doch dass du gemerkt hast, dass du in einem akademischen System steckst, in dem du nicht sein willst, hat dich innerlich ein wenig zerstört. Als ob die erfolgreichsten Menschen sich durch Exzellenz und Gütigkeit auszeichnen. Für Einstein und Ausnahmen mag das gelten, doch die meisten haben bloß die Regeln des Diskurses gut durchgespielt (nicht ohne Grund gibt es den „Akademikersprech“ ohne den man schwierig aufsteigt). Du stiegst aus deinem Stipendium aus und suchtest dir einen Teilzeit Job, diesmal an Wochenenden bei der Deutschen Bahn. Und oh wunder, du begegnetest plötzlich der zweiten schönsten Frau der Welt (wenn man jemanden liebt, gibt es doch nur Superlative).
Es war ein holpriger Einstieg. Weißt du noch, wie du sie fragtest, ob ihr euch küssen wolltet und dann hat sie sich in ihren Hoodie verkrochen und du hast dann einfach Klavier gespielt und sie fast geheult, weil ihr das ultra dolle peinlich war, dass sie gar nicht wusste, was sie machen sollte. Und nach und nach habt ihr euch angenähert, gar nicht so viel miteinander gesprochen. Du fandest deinen Lieblingsanime „Banished from the Heroes Party“, der das gängige Abenteuer-Narrativ umkehrte: Nicht das Abenteuer ist das Ziel, sondern der Rückzugsort, den man gestaltet. Und so eine Person war plötzlich in deinem Leben und so begannst du wieder zu träumen von allen möglichen Dingen. Aber mit der anstrengenden Realität, Geld zu verdienen, Versicherungen und was auch sonst noch dazu gehört, wenn man Sicherheit sicherstellen möchte, das hast du einfach immer abgebügelt mit „Das wird schon“ und „Man wächst mit den Herausforderungen“. Allmählich traten auch die Probleme in der Beziehung auf und du lerntest, dass du einfach immer noch ein schlechter Zuhörer bist und ein noch schlechterer Problemlöser (in der Philosophie lernt man bloß Probleme aufzustellen). Und auch die Anstellung bei der Deutschen Bahn entsprach so ziemlich genau ihrem Image.
Du erinnerst dich noch sehr genau an die Skate-Session zum Neujahr 2023. Du erzähltest Bosse, dass du nach Erfurt zurückkehren musst. Es ist so merkwürdig, aber in der Zeit in Magdeburg hast du sicherlich einfach ein Dutzend Mal geweint, weil du Heimweh hattest. Doch die Rückreise hast du nochmal wegen deiner Geliebten verschoben (und du Trottel hast nicht auf sie gehört, sie wollte, dass du deine Ziele verfolgst, aber du hattest viel zu große Angst, dass eine Fernbeziehung in die Brüche geht) und bist stattdessen in eine selbstgewählte Hölle eingezogen (dort muss jeder mal durch, um zu wachsen). Aber die Beziehung hätte sowieso nicht gehalten. Das hast du bloß leider nach monatelanger Verdrängung und Ertränkung in WoW, Drogen und Discord einfach nicht anerkennen wollen. Ein Lichtblick: Du musstest in der vorlesungsfreien Zeit nicht arbeiten und hast einfach spontan eine Deutschlandreise gemacht und viele bekannte Gesichter wieder gesehen: Goethe, Marian, Theresa. Und du Trottel hast dich auf jemanden eingelassen, wo du schon von Anfang an wusstest, dass sie nicht die eine war (aber du dachtest die ganze Zeit, dass sie es werden könnte; sie hat genauso dumm geträumt wie du, vielleicht sogar noch dümmer). Doch die Realität zeigt irgendwann ihr wahres Gesicht (obwohl es wie in einem Film war). You are a douchebag-skater-fuckboy oder wie man das nennen möchte, aber sie war so in dich verknallt und du hast sie abgeschossen, indem du ihr die Wahrheit gesagt hattest (nämlich, dass du über deine Ex nicht hinweg bist und sie eigentlich nicht so nice findest, du Arsch). Hoffen wir mal, dass du draus gelernt hast.
Allmählich hat sich alles gewandelt. Du hattest wieder einen Job als Eiscreme-Macher, dann noch so ein bescheuertes Business angefangen, wo du dann letztlich doch mit 4-stelligem Verlust abgesprungen bist. Aktien und Krypto waren dann noch eine lustige und halbwegs sinnvolle Episode. Zudem hat sich deine Internet- und Drogensucht intensiviert und für dich war Magdeburg nur noch im Filter einer perspektivlosen Einöde. Es lag nicht an Magdeburg. Magdeburg ist und war ein toller Ort. Dein Herz schlägt halt bloß für deine Heimat. Du hattest Magdeburg mehrere Chancen gegeben, aber du hast einfach viel zu viel erwartet und mit Erfurt verglichen (es gibt dies und das nicht, und die Leute sind schon eher rau und teilweise gewalttätig in Magdeburg). Der Traum ist aus. Sowieso war es seit der Trennung eher ein Alptraum, der mit genügend THC ausgehalten wurde. Doch langsam bist du aufgewacht, desillusioniert, frustriert über deine eigenen Entscheidungen, die du getroffen hast, weil du optimistischer warst, als die Realität es zuließ. Du glaubst an eine Gesellschaft, an die in Magdeburg nur eine Minderheit glaubt, da die Mehrheit geistig verarmt ist. Ja, du hast angefangen, deine Zeit in Magdeburg als Studie zur Armut zu interpretieren. Und vielleicht waren diese Erfahrungen gar nicht so schlecht, aber halte dich einfach davon fern. Es ist nicht deine Schuld, wenn Menschen unfähig sind, ihr Leben zu ändern. Es ist nicht deine Aufgabe, ihr Leben zu ändern oder sie aus ihrer Traumwelt herauszulösen. Wer seinen Träumen nachjagt, scheitert an der Realität und das werden die Leute ohnehin selbst begreifen (denn dir wurde es auch viel zu spät mitgeteilt).
Was bleibt, sind Geschichten. Du hast noch weniger Geld als vor Magdeburg (aber dafür einen Haufen an Büchern und Kulturkram). Und zuletzt bist du nochmal einer schönsten Frau begegnet, die dich dazu inspiriert hat, das Leben, was du dir hier erträumt hattest, über Bord zu werfen. Du hast es direkt gespürt, ihr wart euch ein wenig ähnlich. Sie hat dir schließlich einen Korb gegeben, mit der Begründung, dass sie noch gesund werden müsse und du wusstest, dass das für dich eigentlich auch gilt (aber für zwei Wochen nochmal ein wenig Hormone zu versprühen macht halt Spaß). Du hattest hat dich selbst krank gemacht (oder zumindest teilweise, Corona und Russlands Überfall waren sicherlich keine Hilfen), du wusstest es. Du wusstest auch, dass du eigentlich gar nicht so gut darin bist, deine Schwächen zu verdecken, aber in deinem Umfeld hat das auch niemand erkannt.
Jetzt bist du weg. Bleiben die Menschen in deinem Herzen? Irgendwie kommt es dir bei vielen mittlerweile so vor, als hätten sie bloß mit dir gespielt. Die Menschen wollen unterhalten werden, sie sind süchtig nach den Internetalgorithmen, die sie dauerhaft mit Dopamin versorgen und du bist ebenso gut darin, Leute damit zu hypnotisieren. Vermisst dich wer? Du glaubst es nicht, sonst hätte ja irgendwer mal gefragt. Vereinzelt gab es da Leute. Aber die meisten gaben dir nichts. Sie konnten es auch nicht. Du hattest bereits alles, was du brauchst, nur woanders. Sie hätten dir nichts geben können, außer Ruhe. Aber in einer Stadt der sozialen Verwerfungen gibt es keine Ruhe, du hast dich mit zu vielen Leuten umgeben, die Krieg wollten. Und deine Ex-Freundin, die du so dafür geliebt hattest, dass ihr früheres Hobby an die Decke starren war (was eine unironisch wirklich liebenswürdige Tätigkeit ist), hat in dir ständig Krieg ausgelöst, Krieg zwischen Heimat und Liebe, so ein wenig der Narziss-Goldmund-Konflikt.
Es war ein trockener Abschied. Du hast dich bei kaum jemanden gemeldet. Es gab keine Tränen. Du verbrachtest die letzte Zeit mit deinem alten Mitbewohner. Du verbrachtest die Zeit damit, in dich zu kehren, deine Trauer zu verarbeiten. Du wolltest niemanden erzählen, dass du Magdeburg hasst. Es lag nicht an Magdeburg, die Stadt ist, wie sie ist. Aber es lag an dir, dass du das nicht akzeptieren wolltest. Du wolltest niemanden erzählen, was in dir vorging, denn das hätte bedeutet, noch eine Erinnerung da zu lassen. Eine Erinnerung an irgendeinen Wannabe. Du wolltest niemanden erzählen, dass du große Fehler begangen hast. Aber letztlich ist das meiste egal. Magdeburg war bloß ein Traum, jemand anderes zu werden. Erlöst von deinem eigenen Größenwahn kehrst du nun zurück und bist froh, dass du den ganzen Unsinn nicht deiner Heimat angetan hast.
Hoffen wir, dass Magdeburg dir eine lebenslange Lektion erteilte: Demut.
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