Ein Selbstgespräch #8

Lesedauer: ca. 5 Minuten

Heute war ein merkwürdiger Tag. Und merkwürdig sind Tage nur, wenn sie nicht unseren Erwartungen entsprechen. Wenn man aber keine Erwartungen hat, dann gibt es keine merkwürdigen Tage. Also folgere ich daraus, dass ich wohl sowas wie Erwartungen wohl besitze. Ich kann sie aber nicht so klar benennen, daher liegen sie irgendwo vergraben im Unbewussten. Ich kann aber zumindest versuchen, einige Thesen zu formulieren und je nach dem, ob diese für mich erbauend klingen oder nicht, kann ich ja zu einer Schlussfolgerung kommen. Wenn ich allerdings keine Worte finde, die sich “richtig” oder “gut” anfühlen, dann befinden wir uns wohl in einem orientierungslosen Zustand. Und sowas würde man im Allgemeinen wohl vermeiden wollen. Haben Sie Erwartungen an ihren Tag?

Ich glaube, mein Anspruch ist, dass ich halbwegs das Gefühl habe, dass ich mich und mein Leben unter Kontrolle habe. Und in letzter Zeit scheint mir dieses Gefühl vielleicht ein bisschen abhanden gekommen zu sein. Wenn man nun der These zustimmt, dass Menschen auch nichts anderes als Tiere sind, die mittels Trial-and-Error Wege finden, ihr Leben zu gestalten, dann ist diese Phase der Orientierungslosigkeit wohl eine Phase des Ausprobierens und Feststellens, ob etwas einem taugt oder nicht. Doch wenn der Trial-and-Error-Weg immer wieder in ein “Error” verläuft, dann ermüdet das irgendwann. Dies, das, jenes probieren und nicht zu einem Ergebnis zu kommen, ist frustrierend und erschöpfend.

Ich weiß auch gar nicht, ob es gerade etwas nützt, dass ich das ausformuliere. Ich fühle mich gerade eigentlich überhaupt nicht danach. Es ist 21:10 Uhr und ich würde gerne schlafen gehen. Aber wenn ich das jetzt tue, dann wache ich meiner Erfahrung nach um 4 Uhr morgens in der Nacht auf. Das habe ich übrigens auch mittels Trial-and-Error herausgefunden. Die Alternative ist aber, dass ich in ein oder zwei Stunden wieder an dem Punkt bin, dass ich nicht mehr müde genug für das Bett bin. Ich wünschte, mein Körper wäre pünktlich um 22:30 Uhr müde und geht dann automatisch ins Bett. Aber diesen Automatismus habe ich mir leider in meiner Jugend nicht angeeignet.

Es war nun heute so, dass ich mit einem dissoziierten Gefühl aufgewacht bin. Das tritt normalerweise auf, wenn man “mit seinem Kopf ganz woanders” ist. Ich war aber nicht “woanders”, sondern in meinem Körper. Ich habe gemerkt, dass heute der Tag bis zu dem Zeitpunkt, wo ich eine halbe Stunde vor der Bibliothek mir die sonnenbeleuchtete Stadtszenerie anschaute, irgendwie in 1,5-facher Geschwindigkeit ablief. Ich hatte früher schon mal die Beobachtung gemacht, dass ich bei leicht erhöhter Aufmerksamkeit steuern kann, “wie schnell” ich Musik wahrnehme. Es ist sehr witzig. Wenn ich mich stark auf ein Instrument konzentriere und die Konzentration ablasse, dann schwankt das Tempo in der Wahrnehmung. Heute war es allerdings so, dass ich gar keine Kontrolle mehr darüber hatte. Und das hat sich wirklich merkwürdig angefühlt, wenn man das nicht gewohnt ist.

Ich kann also festhalten, dass ich wohl “erwarte”, dass die Welt um mir herum sich halbwegs stabil und gleich anfühlt. Dass das nicht immer so ist, das habe ich am Anfang des Jahres ja bereits durchlebt, als mich ein Verliebtheitsgefühl für zwei Wochen übermannt hat. Es war allerdings so, dass ich mir dessen sehr bewusst war und es einfach “unterlassen” habe, dagegen zu steuern. Wenn man nicht so oft verliebt ist, dann ist es doch schön, die Hormone einfach ihre Arbeit erledigen zu lassen. Heute hingegen habe ich es überhaupt nicht unterlassen, weil es sich auch nicht toll anfühlt, wenn man dissoziiert. Es hat nur nicht funktioniert.

Ich glaube, ich habe heute einen Geschmack dafür bekommen, wie sich Leute wohl fühlen, die ihre Emotionen und ihre Wahrnehmung nicht unter Kontrolle haben. Und mir ist das erste Mal aufgefallen, dass das wirklich schrecklich wäre, wenn ich jeden Tag so schnell erleben würde. Als würde alles rennen. Als müsse man hinterherrennen. Stattdessen war es bei mir im Leben eher so, dass ich spazieren gehe. Ich habe mich selten gehetzt wie andere Leute, auch wenn man angesichts meiner Vita vielleicht einen anderen Eindruck hat.

Früher war das ja bei mir auch so, dass ich wenig Gespür für das Zeitgeschehen hatte. Deswegen habe ich die letzten Jahre – trotz des Drogeneinflusses – es trotzdem irgendwie geschafft, mir dessen bewusst zu werden und aktiv eine Balance herzustellen. Doch irgendwas scheint diese Balance gehörig durcheinander gebracht zu haben.

Ich spüre einen aufkommenden Widerstand in mir. Vielleicht liegt es daran, dass ich meine Bachelorarbeit in zwei Wochen abgeben möchte bzw. muss. Ich sehe es allerdings gar nicht so gestresst, weil es schließlich nur irgendeine Arbeit für eine Papier-Qualifikation ist. Was mich eher in Unruhe versetzt, ist das, was danach kommt. Ich spreche bereits darüber, dass mein Leben, welches ich bislang kenne, sich grundlegend verändern wird. Es bereit mir keine Angst. Es bereitet mir trotzdem Unbehagen, obwohl ich eigentlich die meisten Vorkehrungen dafür bereits getroffen habe.

Ich möchte mich verkriechen. Ich möchte wieder kurz untertauchen. Ich habe sogar Lust, einfach wieder eine Woche lang durchzukiffen und dabei nur Müll zu machen. Aber das hatte ich ja bereits schon über zwei bis drei Wochen in der Weihnachtszeit (da war ich allerdings “verkrochen in der Menschenmasse”). Und jetzt, einen Monat danach, schon wieder? Das klingt aber auch nicht richtig für mich.

Mir fehlen die Worte. Vielleicht fehlt mir auch die Sonne und der Skatepark. Und auch ein klein wenig die Menschen aus Magdeburg, mit denen ich hier und da, dies das getan habe ohne einen weiteren längeren Sinn dahinter zu erhaschen. Aber das fühlt sich auch falsch an. Und das ist ganz schön beängstigend, wenn man vor ein, zwei Wochen noch das Gefühl hatte, dass alles in Ordnung ist und plötzlich ist irgendwas völlig anders. Und es fehlen einem die Worte dafür. Es fehlt irgendein Fundament, welches das alles zusammenhält.

Ich weiß auf jeden Fall, was mein Leben zusammenhält und gleichzeitig ist es so, als würde man zwanzig riesige Pakete mit ein paar Gitarrensaiten zusammenbinden wollen. Und vielleicht ist heute oder gestern oder die Tage eine Saite gerissen und das ganze Gerüst scheint allmählich umzukippen. Und dann hat man seine zwanzig riesigen Pakete da rumliegen und muss sich dann entschließen, die Hälfte davon wegzuschmeißen und dann mit zehn Paketen es zumindest probieren. Vielleicht ist das eine Mammutaufgabe, die nicht so gut durchdacht war. Im Nachhinein wünschte ich mir manchmal, ich hätte einfach irgendeine Sache nach der Schule angefangen und durchgezogen, sodass ich ein kompletter Fachidiot bin, der nur ein Paket zu tragen hat. Wenn man nur ein Paket trägt, dann kommt es zumindest sicher an.

Naja. Dann bleibt es heute wohl dabei, dass ich etwas ratlos bin. Ratlos über die heutige Merkwürdigkeit. Fühlt sich nicht gut an.

EDIT (3 Stunden später): Ich bin für ungefähr 1,5h eingeschlafen und wieder aufgewacht. Ich hatte auch einen merkwürdigen Traum (Sie sehen, mir passieren ständig unerwartete Dinge). Ich wachte auf und habe mich ein wenig im Bett umhergewälzt mit leicht säuselnden Jazz-Melodie-Halluzinationen im Ohr. Plötzlich hat sich die Phrase „Somewhere In-Between“ in meinem Kopf geformt und sie hat sich sehr treffend angefühlt. Es handelt sich um das gleichnamige Album von Eloise. Es ist eigentlich ein Liebesalbum, aber da sie auch eine andere EP namens This Thing Called Living herausgebracht hat, kann man das auch als komplizierte Beziehung mit diesem merkwürdigen Ding, das wir Leben nennen, beziehen. Mit diesem Musiktipp lege ich mich wieder zur Ruhe.


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