Ein Selbstgespräch #5

Lesedauer: ca. 11 Minuten

Ich möchte mit Ihnen heute eine Einschätzung teilen. Ich bin mir nicht sicher, ob sie “richtig” ist. Aber darum führe ich gerne Gespräche, um herauszufinden, ob ich richtig liege. Ich glaube an einen Existentialismus, der die unbedingte Freiheit jedes Einzelnen zur Prämisse hat. Es ist nicht so, dass daran irgendwas “wahr” ist. Es gibt schließlich auch Beispiele, wo Menschen das Gefühl haben, dass sie sich nicht aussuchen können, was sie denken oder tun. Dass sie glauben, dass ihnen Dinge widerfahren, wogegen sie machtlos sind. Aber daran möchte ich nicht glauben, das widerspricht meinen ganz persönlichen Erfahrungen. Ich habe auch immer gesagt, es ist egal, ob ich wirklich frei bin oder nicht. Denn selbst, wenn alles von irgendwem oder irgendwas gesteuert wird, ich habe immer das Gefühl als ob ich alles selbst entscheiden kann. Und ich glaube, es erfordert sehr viel Mut, denn das bedeutet eben auch, dass man sich seiner ganzen Verantwortung für sich selbst bewusst wird.

Wissen Sie, ob ich wirklich richtig liege, das merke ich daran, wie gut man mit seiner Umwelt resoniert. Ich habe schon meine gesamte Kindheit nach Konfrontation gesucht, ich war in ständiger Dysbalance mit den Menschen um mir herum. Rückblickend tut es mir manchmal Leid, dass ich so vielen Menschen vor den Kopf gestoßen habe. Aber gleichzeitig kann ich es nicht ändern. Ich muss mich nun eben mit den Konsequenzen abfinden und daraus lernen, es besser zu machen. Und seit letztem Jahr, seit dem ich das erste Mal eine Beziehung geführt hatte, mit einer Frau, die mir alles bedeutete, brach eine Zeit an, in der Konfrontation nicht mehr die Regel, sondern die Ausnahme war. Denn das ist natürlich auch die andere Seite der Medaille: Dadurch, dass ich bereits den Großteil meines Lebens damit zubrachte Konfrontationen bewusst herbeizuführen, kann ich auch zum Großteil der Fälle abschätzen, wie man solche Konfrontationen vermeidet. Es wundert mich manchmal, dass ich selbst umgeben bin, von Menschen, die eine Menge schlimmer Sachen erlebt haben. Messerstecherei, Drogendelikte, Prügeleien, sexueller oder psychologischer Missbrauch. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass es Normalität ist, oder weil ich dies zu meiner Normalität gemacht habe, aber ich, obwohl ich mit so vielen Menschen Zeit verbringe, bin davon immer verschont geblieben. Ich glaube nicht unbedingt an Gott, aber da kommt mir manchmal das Gefühl, dass der gute Herr seine schützende Hand über mich hält.

Und wenn man so gut mit seinem Umfeld im Einklang steht, dass Konfrontationen die Ausnahme statt die Regel sind, dann lernt man besonders viel nochmal über sich selbst. Ich glaube, ich habe eine sehr hohe Resilienz gegenüber Stress (und ich sage immer Stress macht man sich nur selbst). Es ist daher wirklich selten, dass es mich überkommt und ich die Fassung verliere und etwas böse werde. In den letzten zwei Jahren kann ich mich eigentlich nur an zwei Ereignisse erinnern, in denen ich die Fassung verloren habe und meine Emotionen nicht zügeln konnte. Davon möchte ich Ihnen heute erzählen. Ich möchte es Ihnen auch deshalb erzählen, als Erinnerung an mich selbst. Ich hatte früher mal ein Gespräch mit Henny geführt und ich hatte einen so schönen Aphorismus aus dem Nichts gesagt, ich hätte ihn mal aufschreiben sollen. Er war in etwa so: “Wenn Menschen lernen, Mensch zu sein, lernen sie immer das Gleiche. Sie vergessen es nur immer wieder.” Und manchmal vergesse ich einfach, was ich eigentlich schon längst weiß, es zeigt sich dann bloß erst in den Konfrontationen.

Die erste Konfrontation war eine kurzweilige Bekanntschaft mit einer jungen Frau, der ich ein böses Unrecht getan habe. Wir hatten es für zwei Monate auch als Situationship gelabelt und eigentlich haben wir auch all die Dinge getan, die normale Pärchen miteinander tun. Aber ich bevorzuge es, Beziehung nicht nach einem Label zu vergeben. Aber wenn wir nach dem Offiziellen gehen, dann war ich in zwei Beziehungen. Inoffiziell wäre ich vielleicht in noch ein paar mehr gewesen. Nach einer sehr strengen Beziehungsdefinition war ich maximal in einer. Wenn ich über meine Ex-Freundin rede, dann ist es eigentlich nur eine, wenn ich über Ex-Geliebte rede, dann sind es zwei (und da muss ich nach normalen Sprachgebrauch auch sagen, dass die zweite eine Affäre war). Aber gut. Ich habe dieses Jahr einer jungen Frau ein böses Unrecht getan, wie komme ich zu dieser Aussage?

Wissen Sie, ich sage dies aus zweierlei Gründen: Zum einen war ich nicht bereit gewesen, eine neue Beziehung anzugehen. Es war keine zwei Monate nach der Trennung mit meiner Ex-Freundin als ich sie kennenlernte und es war einfach noch zu früh. Ich habe all die Fehler nicht wiederholt, die ich in meiner vorigen Beziehung vermasselt hatte und das heißt, man macht mit einem Mädchen Dinge, die man eigentlich nur mit jemand machen sollte, den man wirklich liebt (ich rede hierbei nicht bloß über Sex). Vielleicht habe ich sie in diesem Sinne auch geliebt, denn was ist der Unterschied darin, jemand wertschätzend zu behandeln und zu behaupten, man liebe jemanden? Nach Erich Fromm sollte man ja nicht von Liebe sprechen, sondern vom Lieben als eine Art Kunst und Fähigkeit. Und wenn man es sehr geschickt macht, dann kann man auch gar nicht mehr zwischen Lieben und Liebe unterscheiden. Sie sagte mir, dass ich das einzige wäre, was sie im Leben bräuchte. Und da ich es nicht erwidert habe, aber so mit ihr umgegangen bin, ist es wirklich ein böses Unrecht. Ich kann es aber auch nicht mehr ändern. Ich kann zumindest versuchen, diesen letzten Fehler nicht mehr zu wiederholen – bis auf eine kurze Phase der Verliebtheit im Juli, habe ich mich auch nicht mehr mit irgendeiner Frau ernsthaft getroffen.

Der zweite Grund über ein Unrecht zu sprechen ist, dass ich nicht nur zu gut mit ihr umgegangen war, ich bin auch nicht gut mit mir selbst umgegangen. Es war eine Zeit, da hatten wir beide eine Menge gekifft und das Merkwürdige war auch, dass wir uns eigentlich nie wirklich nüchtern sahen und ich ihr dann vorwarf, dass sie ein schlechter Einfluss auf mich sei. Ich habe sie mit meiner Ex-Freundin oft verglichen, die nicht mal Alkohol trank und immer ein großes Vorbild für meine eigene Entwicklung war. Ein Leben zu führen, im Bewusstsein, ohne den Einfluss künstlicher Substanzen (oh da fällt mir ein, das einzige, was mir widerfuhr war ein dezenter Substanzmissbrauch, es scheint mir aber, dass das noch ein sehr humanes Widerfahrnis ist). Andererseits führen viele ein Leben ohne den Einfluss künstlicher Substanzen, man kann nur nicht sagen, dass es bewusst ist. Aber nun ja. Ich habe ihr Sachen vorgeworfen, die auch selbstverschuldet waren. Und das ist eben das Schreckliche an der Sache: Ich habe mir wirklich wenig Gedanken um die Konsequenzen gemacht, die mit so einer Liebelei einhergehen. Ich habe einfach eine schöne Zeit mit ihr verbracht und tagein, tagaus geträumt, um den Schmerz aus der Trennung zu verdrängen. Das ist doch ein böses Unrecht. Ich habe davon geträumt, mein Leben hinter mir zu lassen und in eine wildfremde Stadt zu ziehen. Es wäre sogar eine Stadt im Westen gewesen! Und dazu noch eine besonders dreckige Stadt. Ich hab den Dreck in Magdeburg schon nicht gut ausgehalten (der südliche Teil Erfurts hat mich schon sehr verwöhnt), aber damals war ich sogar bereit, es in Erwägung zu ziehen, “für die Liebe” sogar diese Ansprüche über Bord zu werfen.

Es ist nun bloß so, dass Lieben ein aktives Tun ist. Ich habe dieses idealistische Bild davon, dass eine freie Liebe zwischen zwei freien Menschen stattfindet, die sich aktiv und ohne Zwang dafür entscheiden, eine besondere Verbindung einzugehen. Ich glaube, deswegen habe ich im Gegensatz zu vielen Menschen in meiner Generation überhaupt kein Problem damit, zu heiraten. Schließlich hat man Steuervorteile – andererseits ist Heirat, solange man es nicht bloß macht, weil es andere auch tun, für mich ein wirkliches Bekenntnis dazu, dass man eine so schwerwiegende Entscheidung trifft, dass man gemeinsam zu Grabe getragen wird. Und solche weitreichenden Konsequenzen möchten viele Menschen nicht treffen und da darf ich kurz einen Seufzer loswerden – meine Ex-Freundin wollte auch nicht heiraten. Es ist deswegen auch nicht so schlecht, dass sie sich von mir trennte, auf Dauer hätte ich irgendwann einsehen müssen, dass viele Dinge einfach nicht passten. So habe ich es zumindest nach der Trennung irgendwann eingesehen. 

Und nun kam zum bösen Unrecht hinzu, dass ich die junge Frau telefonisch abservierte (nun ja, sie wohnte auch etwas weiter weg) und ihr auf allen Kanälen entfolgt bin und den Kontakt sehr schnell abgebrochen hatte. Es war für mich bloß, weil ich mich selbst nicht ertragen konnte. Ich war ein böser Feigling. Mir wurde einfach vollends bewusst, dass ich mich auf eine Sache eingelassen hatte, die schwerwiegende Konsequenzen hatte. Und zwar, dass ich damals nicht über meine Ex hinweg war und da eine Frau hineingezogen hatte, sie ganz verliebt machte und mir ein Leben erträumt hatte, dass ich vielleicht gehasst hätte. Und alles das nur, weil ich mich einfach nicht mit der Tatsache auseinandersetzen wollte, dass – ich sage es mal nüchtern – mich manchmal Menschen nicht so stark mögen, wie ich sie mag. Das gehört aber nun mal zum Leben dazu. Und auf der anderen Seite zu stehen, also dass man jemand ist, den andere voll toll finden, ist auch nicht gerade leicht. In dem Moment wurde mir auch bewusst, dass das eine extrem große Verantwortung mit sich bringt. Und man muss mit den Konsequenzen leben. Für mich sind diese Konsequenzen vermutlich gar nicht so schlimm – daher werfen Frauen das Männern auch zurecht vor, dass sie sie einfach absäbeln – aber ich kann es ihr ja nicht übel nehmen, dass sie mir niemals verzeihen wird. Manchmal denke ich mir, es wäre auch eigentlich kein Problem, wenn wir uns liebten, sie müsste sich nur dann damit abfinden, dass sie nach Erfurt kommen müsste, Haus und Kinder haben will und sich von ihrem vorherigen Leben in ihrer Stadt verabschiedet – und auch die Konsequenzen, die damit einhergehen, ich würde aber bei Gott sowas von niemanden verlangen wollen, es müsste dann ihre freie Entscheidung sein und ich glaube, das wäre es sicherlich nicht. Solche Geschichten passieren ständig in irgendwelchen Beziehungen, ich sehe es doch ständig auf der Straße, wenn Paare sich streiten. Aber auch wenn das ja offensichtlich ist und man daraus lernt, man sollte es nie und nimmer vergessen.

Gut, kommen wir nun zu der zweiten Konfrontation, die mir dieses Jahr widerfahren ist. Ich kann es hier zum Glück ein wenig kürzer halten. Ich hatte mich damals mit meinem Mitbewohner verkracht und das ist insofern lustig, weil ich die gleiche Erfahrung mit meinem ersten Mitbewohner schon hatte, nämlich dass Menschen – in diesem Fall Männer – manchmal wirkliche Drecksschweine sind. Man muss sich nur halt ziemlich gut kennen. Bei meinem ersten Mitbewohner wusste ich es bloß nicht besser. Es hatte dort ein Jahr gedauert, bis wir es schafften, den Abwasch zu regeln. Ich fand das fürchterlich, dass er es nicht schaffte, einfach aus Rücksicht vor sich selbst, für ein wenig Ordnung zu sorgen. Es ging mir auch nicht drum, dass es immer super duper ordentlich war, aber dass halt Geschirr in seinem Zimmer schimmelte, das fand ich schon sehr widerwärtig. Aber heute können wir zum Glück drüber lachen, auch darüber, dass ich jemanden beibringen musste, wie man für etwas Ordnung sorgt – dafür bot er mir Gelegenheit, zu lernen, wie man eigenwillige Menschen führt. Man sollte es also nicht allzu schlimm bewerten.

Das Lustige ist ja, dass ich aus dieser Erfahrung eigentlich gelernt haben sollte. Mein letzter Mitbewohner war aber eigentlich sehr ehrlich. Er meinte schon zum Einzug, dass er wirklich dreckig lebt und es sich vermutlich auch nicht groß ändern wird, wenn ich einziehe. Tja, und wie es so kommt, ging das etwa ein halbes Jahr gut, bis ich irgendwann merkte, dass mich das doch ein bisschen zu doll störte. Tatsächlich hat es sich ein bisschen verbessert, aber es wird sich eben nicht groß verändern. Genau, wie er ankündigte. Aber meine anfänglichen Erfolge machten mich übermütig und ich glaubte, wenn man schon jemanden subtil dazu bringen kann, ein bisschen ordentlicher zu sein, dann geht das auch noch weiter. Irgendwann – ich hatte tatsächlich mal mein Stressresilienzlevel überschritten – konnte ich nicht anders und warf ihm all die Sachen vor, die mich störten und es war auch nicht besonders nett gewesen, wie ich es kommunizierte. Ich war schon ein ziemlicher Arsch. Aber die Sache ist und das hat er mir zurecht vorgehalten, auch wenn man sowas nicht hören möchte, ist, er hatte bereits zum Anfang des Einzugs ganz genau gesagt, dass er kein ordentlicher Mensch ist. Und da hat er auch richtig gesagt, dass es meine eigene Schuld ist, wenn ich mit den Konsequenzen nicht klarkomme und dass es letztlich meine freie Entscheidung war, in diese dreckige Wohnung zu ziehen. Ich zog natürlich aus anderen Gründen in die Wohnung ein und auch wenn wir einige Wochen kaum miteinander sprachen, hatte sich dann der “Streit” doch gelegt. Ich kann daher sehr gut verstehen, wenn Menschen große Angst haben, irgendwelche Dinge zu tun, weil man viele Konsequenzen nicht immer gut abschätzen kann, weil man sie sich schöner erträumt, als die Realität es zulässt.

Vielleicht ist das nun auch der Grund, warum ich mich sehr bewusst für Erfurt entscheide. Früher konnte ich es nicht entscheiden, früher kannte ich nichts anderes. Ich hätte mich trotz des Nichts-Anderes-Kennens für Erfurt entscheiden können. Und im Nachhinein denke ich mir, dass es vielleicht besser gewesen wäre. Fünf Jahre habe ich es verpasst, dort in der Gemeinschaft mitzuwirken, den Freundeskreis zu pflegen und mich um Dinge zu kümmern, die wichtiger und dringender sind. Ich wusste es bloß nicht besser und da möchte ich Sie nochmal daran erinnern: Nehmen Sie es nicht zu ernst. Ich mache mir die Vorwürfe bloß zum Spaß, aber letztlich glaube ich, dass ich, auch wenn ich es nicht besser wusste, damals meine Entscheidungen mit dem besten Wissen getroffen habe, die ich als zarter, junger Bengel hatte. Aber Kinder sind nun mal sehr naiv und egal wie schlau man sich nun fühlt, man wird davon nie verschont bleiben, dass man irgendwann sagt, “ich hätte es besser wissen müssen”. Man sollte sich bloß immer mal wieder selbst erinnern.

Und ich hoffe, die Gespräche langweilen Sie nicht so doll. Es ist so ein wenig wie in der verhassten Philosophie: Die Menschen reden ständig über die gleichen Sachen, weil sie glauben, dass sie wichtig seien. Ich rede ständig über die gleichen Themen, was dafür spricht, dass sie mir wichtig seien. Aber es geht eben auch darum, zu bewahren. Zu erinnern. Bis es einen aus den Ohren raushängt. Vielleicht werden das meine Kinder (ich träume mal kurz) eines Tages lesen. Sie dürfen sich auf jeden Fall über einen blöden Vater freuen, der immer wieder Dinge wiederholt. Ich glaube, man sollte nur nicht immer die gleichen Geschichten erzählen. Die Geschichten mögen dann zwar unterschiedlich sein, aber es geht ja doch um die gleichen Themen, also Menschlichkeit, Liebe, Freiheit, und so weiter und so fort. Und – das hoffe ich zumindest – ich kann immer mal wieder eine andere Geschichte erzählen. Aber ich erinnere mich gerade an Bosses Partnerin: Sie hat es gehasst, dass ich ständig über irgendwelche Frauen geredet hab. Aber eigentlich hat sie es gehasst, dass ich darüber ja eigentlich nur über mich selbst geredet habe und Bosse mir dabei auch noch zuhörte. Vielleicht war sie ein klein wenig eifersüchtig, hihi. Man kann es ja eh nicht allen recht machen. Aber, das möchte ich dagegen einwerfen, nur weil man es nicht allen recht machen kann, kann man ja zumindest versuchen, es 80% der Leute rechtzumachen (frei nach der Pareto-Regel). Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht!


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